Wendl & Lung - von Wien nach Ningbo

Stefan Lung, geboren 1876, begann 1890 bei der Klavierbaufirma der Brüder Mikula in Wien eine Lehre als Klavierbauer. Nach der Gesellenprüfung wechselte er zu den Firmen Öser & Wirth, wo er die Meisterprüfung ablegte. Stefan Lung machte sich anschliessend 1910 im 6. Bezirk der Stadt Wien selbständig. In seiner Wohnung entwickelte und baute er die ersten Rasten und Gehäuse für Klaviere. Im gleichen Jahr musste bereits aus Platzgründen über einen Umzug nachgedacht werden. Kapital dafür brachte ein gewissen Johan Wendl, der sogleich Teilhaber der neuen Firma "Wendl & Lung" wurde. In der Ägidigasse 6 im gleichen Wiener Bezirk fand man ein geeignetes Gebäude.

Der Erfolg setzte rasch ein. Bereits 1926 war die Produktionszahl von 1.000 Instrumenten überschritten. Erneut waren die Fabrikhallen zu klein geworden und so zog man in die Mariahilfer Straße 101, wo die Firma bis 2004 ihr Stammhaus hatte. Die Klaviere von Wendl & Lung wurden in ganz Europa verkauft. Eins der meistverkauften Instrumente war der Stutzflügel "Wendl & Lung Modell X", der nur 147 cm lang war, sich aber durch eine grosse Klangfülle auszeichnete. Stefan Lung hatte nur ein Kind. Tochter Stefanie wurde 1912 geboren und lernte das Klaviermachergewerbe. Sie erlangte später den, zur damaligen Zeit für eine Frau außergewöhnlichen Klaviermachermeistertitel. Sie war nach Nanette Streicher im 19. Jahrhundert, erst die 2. weibliche Meisterin des Fachs überhaupt. Zwischendurch heiratete Stefanie einen Herr Veletzky. Aus dieser Union wurde im Jahr 1933 ein Sohn, Alexander, geboren.




Alexander Veletzky übernahm 1956 die Firma und war neben vielen anderen Tätigkeiten 30 Jahre lang Bundesinnungsmeister der österreischischen Musikinstrumentenerzeuger. Als Anerkennung für seine Verdienste - auch für das Restaurieren wertvoller historischer Klaviere für Museen - erhielt Alexander Veletzky das "Goldene Verdienstzeichen" der Stadt Wien und den in Österreich geschätzen Titel "Komm. Rat."

Sein Sohn, Peter wurde mit 22 Jahren der jüngste Klaviermachermeister Österreichs. Peter Veletzky übernahm 1994 den Familienbetrieb in 4. Generation und führte die Firma zunächst als Einzelperson bis zum 31.12.1999. Leider zeigte sich, dass die Produktion von Mittelklasse Instrumenten in Österreich keine Zukunft mehr hatte. Der Druck aus Asien und die veränderten gesellschaftlichen Gegebenheiten ließen Absatz und Gewinn rapide schwinden. Selbst der Premium-Hersteller Bösendorfer geriet in dieser Zeit in ernste finanzielle Schwierigkeiten und wechselte mehrfach den Eigentümer, bis er 2007 letzlich vom Branchenprimus Yamaha übernommen wurde.

Ab dem 1.1.2000 wurde mit Ernest Bittner als finanzstarker und gewiefter Partner eine neue GmbH gegründet: die "Wendl & Lung Klavierbau u. Vertriebs GmbH". Die aus China stammende Frau von Ernest Bittner, Bai Lin intensivierte die bereits vorhandenen geschäftlichen Kontakte ins Reich der Mitte und so wurde 2003 eine Wiederaufnahme der Klavierproduktion mit der Partnerfabrik Hailun Musical Instruments Co. Ltd in Ningbo/China vereinbart. Wendl & Lung Instrumente waren nun ab diesem Zeitpunkt "Made in China"

 


Ab August 2003 begann die weltweite Vermarktung des Pianomodells Wendl & Lung 122 - Universal, welches das erste überzeugende Resultat einer erfolgreichen Zusammenarbeit war. Die folgenden weiteren Modelle sollten von dieser neuen Konstruktion profitieren. Es gelang der neuen GmbH in relativ kurzer Zeit ihre chinesischen Instrumente erfolgreich am europäischen Markt zu platzieren. Besonders aufnahmefähig für die "Wiener"-Instrumente aus Ningbo erwies sich der französische Markt. Ein Vertriebsabkommen mit der renommierten Händlerkette "Les Maitres du Piano"" brachte auf einem Schlag 56 Verkaufspunkte im ganzen Land. Mittlerweile ist Wendl & Lung nach eigenen Angaben allein in Europa bei über 300 Klavierfachgeschäften vertreten. Zur Zeit ensteht in Deutschland eine Kooperation mit dem Traditionhersteller Feurich aus Gunzenhausen, dessen Instrumente nun auch von Hailun in Ningbo produziert werden. Auch der französische Klavierbauermeister Stephen Paulello, der sich einen Namen mit einigen originellen neuartigen Entwicklungen im Bereich der Klavierkonstruktion und zahlreichen Patenten gemacht hat, kooperiert eng mit dem Wiener Unternehmen und entwickelte in dessen Auftrag den Halbkonzertflügel 218 - Concert I und den Konzertflügel 288 - Concert III.